Freitag, 28. September 2018

Vor der eigenen Haustüre - Khan al-Ahmar



In der letzten Zeit tauchen hier und da Bilder einer Ansammlung von Schuppen irgendwo im Westjordanland immer wieder in der Weltpresse auf. 173 Beduinen (53 Familien) des Jahalin Stammes sollen ihre Behausungen in Khan al-Ahmar in der Judäischen Wüste bis zum 1.10.18 räumen.
Ein Beduinencamp mitten in der Wüste wie man es gewohnt ist...


 Man ist verführt den Text gar nicht erst zu lesen. Wieder arme, wehrlose, indigene Ureinwohner die nun von bösen, traumatisierten Kolonialisten, die selber noch vor drei oder vier Generationen wehrlos waren, vertrieben werden sollen. Kolonialisten denen das ihnen schon zugestandene Territorium nicht genug war und sich bei einer sich bietenden Gelegenheit auch noch den benachbarten Teil, der für die Ureinwohner gedacht war, unter den Nagel gerissen haben, eben weil sie so traumatisiert und böse sind. Letztere werden nun systematisch drangsaliert um sie zu vertreiben – zugunsten der territorialen Expansion der Ersteren.
Stoff der geeignet ist das Weltbild gutmenschiger Israelkritiker zu festigen.
Zu Beginn des Monats September hat die EU eine Resolution gegen die Räumung verabschiedet und bei der letzten Sicherheitsratssitzung der UN am 17.9.18 sprachen sich auch die UN Botschafter von Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Holland, Italien, Polen und Schweden dagegen aus.
Wie soll ich sagen? Ich sehe das anders.


...wenn man sich allerdings etwas nach Süden wendet sieht man eine voll ausgebaute 4-spurige Schnellstrasse...
 
Dieser Beitrag soll nicht ein griffiges Gegennarrativ aufstellen das keine Gegenrede mehr zulässt (das wäre Propaganda), sondern mit Bildern und Informationen zu einer ernstzunehmenden Diskussion führen. Nicht Mäuler stopfen, sondern Gehirne füttern.

Gibt man bei Bing „Jahalin“ ein bekommt man etwa 25.000 Treffer.
Es kommt daher daß dieser derzeit 15.000 Seelen zählende Beduinenstamm nicht alleine in der Welt dasteht. bimkom.org, peacenow.org, btselem.org, unwra.org, Dikania, Amnesty, Rabbis for human rights, Roman Catholic Society of St. Yves, The Palestinian human rights group Land and Water Establishment (LAWE) und nicht zuletzt Jahalin.org, sie alle stehen ihnen zur Seite wie man bei den Suchergebnissen sehen kann.

Im Unabhängigkeitskrieg wurde der Stamm aus dem Negev nach Norden vertrieben und lebte auf beiden Seiten der Jordansenke.
Ich hatte Gelegenheit mich mit einer der Gründermütter von Maale Adumim zu unterhalten. Sie hat mit erzählt daß ebenjene Jahalin Beduinen seinerzeit (1975) nur im Winter ihre Herden in diese Gegend hochtrieben. Einfach weil es hier kaum Wasser gab. Das änderte sich Anfang der 80ger mit dem Bau der Wasserleitung nach Maale und Kfar Adumim.
Der Name Khan al-Ahmar ist eigentlich die Bezeichnung für Überreste eines byzantinischen Einsiedlerklosters der mit seiner riesigen Zisterne später als Khan, als Herberge für Karawanen diente. Heute liegt er mitten im Mishor Adumim Industriegebiet, zweieinhalb Km entfernt von den Schuppen die mit diesem uralten und bedeutenden Namen bedacht wurden. Wie alt ist der heutige Khan al-Ahmar? In der folgenden Quelle kann man eine Reihe von Luftbildern sehen. Ihr zufolge tauchten die ersten Bauten um 1980 auf.
https://www.camera.org/article/the-la-times-the-bedouin-of-khan-al-ahmar-and-their-land/
Den jüdischen Anwohnern der nahegelegenen Siedlung Kfar Adumim zufolge, vergeht kein Monat ohne Steinwürfe. Aber das scheint mir nicht das wesentliche.

... warum seine Zelte mit Kindern, Schafen und Ziegen so nahe an der Strasse aufschlagen?
Längst sind die traditionellen Zelte kleinen Gruppen von Holz- und Blechhütten gewichen, was auch darauf hindeutet das ihre Bewohner mittlerweile sesshaft geworden sind. Man würde erwarten daß sie weiträumig auf den Hügeln und Abhängen der judäischen Wüste verteilt wären, da Beduinen meist Schaf und Ziegenherden und auch Kamele halten. Die etwa 30 Camps der Jahalin liegen aber fast ausnahmslos direkt an einer Schnellstraße. Ende 2014 hat die rechte NGO „Regavim“ einen Bericht vorgelegt demzufolge aus 209 Bauten im Jahre 2003 in 11 Jahren 774 Bauten geworden sind.
Eine Fahrt in Richtung Jordantal und zurück...
...der Blick nach Süden...


...Und der Blick nach Norden.
Die Schnellstraße ist nicht irgendeine Schnellstraße. Jerusalem liegt in 800 Höhenmetern auf einem Bergrücken. Nach Osten hin fällt das Terrain bis zum Toten Meer auf minus 400 Höhenmeter ab. Entlang der Jordansenke verläuft die Grenze nach Jordanien. Diese Straße, die Nr.1, ist die für Israel strategisch wichtige West – Ost Verbindung in der Mitte des Landes, die von Tel Aviv kommend über Jerusalem runter zur Jordansenke bis zur Grenze führt.


Und noch eins...

...und noch eins...
Der Palästinenserführung ist die Verbindung von Samaria im Norden und Judäa im Süden wichtig. Hier, östlich von Jerusalem, wo auch der zum Politdrama avancierte Hügel E1 liegt, treffen sich die beiden Entwicklungsachsen.

...und noch eins...
„Regavim“ zufolge, versucht die PA (Palestinian Authority) ein Band von Beduinencamps entlang der Straße zu schaffen. Da beduinische Männer mehrere Frauen heiraten können und 30% von ihnen dies auch tun, sind sie Weltmeister was die Wachstumsrate angeht – sie liegt bei ihnen bei 5,5%. Das bedeutet eine Verdoppelung jeweils innerhalb von 14 Jahren. Wie man an meinen Bildern sehen kann ist der Khan wirklich nicht das einzige Beduinencamp entlang der Strasse.

...und noch einer...
...und noch eins. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Da der Khan al-Ahmar in der Zone C liegt, hat laut Osloer Abkommen Israel die Planungshoheit. Demzufolge kann die israelische Zivilverwaltung (COGAT) den Abriss anordnen.
Es geht auch anders. Zwei Beispiele für Camps die mitten in der Landschaft liegen
Würde es sich um eine entschädigungslose Vertreibung handeln so wäre die mediale und politische Aufregung im Ausland vielleicht noch nachvollziehbar. Als 1997 27 Familien von einem Hügel direkt am Stadteingang von Maale Adumim umgesiedelt wurden, haben sie vor dem Obersten Israelischen Gerichtshof dagegen geklagt. Dieser entschied daß sie zwar kein Anrecht auf das Land hatten, wohl aber mit einer dauerhaften Lösung entschädigt werden müssen. Wie man im folgenden Link sehen kann, existieren bereits jeweils 1000 Qm große Grundstücke mit Wasser und Stromanschluss am Ortsrand des nahegelegenen, palästinensischen Abu Dis. Jede Frau die sich zur Umsiedlung bereit erklärt erhält ein solches Grundstück. Der Beduine der mehr als eine Frau hat profitiert also. Dazu gibt es eine finanzielle Unterstützung von umgerechnet etwa 10.000 Euro laut „Btselem“ und 117.000 Euro dem Gatestone Institut zufolge. In einer 10 Jahre andauernden Schlacht vor dem Obersten Israelischen Gerichtshof um alternative Standorte für den Khan hat dieser nun festgelegt daß die Einwände, wie z.B. die Nähe zur Jerusalemer Müllkippe, unbegründet sind.

Im folgenden Link ein Bild das die bezugsbereiten Parzellen in Abu Dis zeigt.
https://1pyiuo2cyzn53c8ors1kwg5l-wpengine.netdna-ssl.com/wp-content/uploads/2018/06/cf87f024-c07b-4ad5-b54d-0e54ed1d8314.jpg

An dieser Schlacht um die Dominanz der Entwicklungsachsen beteiligen sich seit einigen Jahren auch unerwartete Mitspieler. Die EU und einige ihrer Mitgliedsstaaten.
181 Behausungen und 232 Schuppen wurden von der EU finanziert. Diese Bauten bestehen aus Paneelen die einen Aufbau innerhalb von Stunden erlauben. Da es sich um ungenehmigte Bauten handelt kommt ein EU Aufkleber drauf der ihnen diplomatische Immunität verleihen und so den Abriss verhindern soll.
Wer genau hinschaut kann auf den Bauten die dunkelblauen Aufkleber der EU erkennen.
2014 wurden 11 Mill. Euro allein für die Beduinen in Zone C aufgewendet.

Quelle: (.pdf Datei in Englisch hier herunterladen: https://www.regavim.org/eu-involvement-in-illegal-building-in-area-c-position-paper/) Auf Seite 11 findet sich eine gute weil klar aufgemachte Landkarte.
Ein solches Vorgehen halte ich aus zwei Gründen für falsch. Zum einen wird die Verhandlungsbereitschaft der Palästinenser herabgesetzt wenn tatkräftig bei der Schaffung vorhandener Tatsachen geholfen wird. Zum anderen ist es moralisch fraglich ob man einerseits 11 Mill. Euro in beduinische Outposts investieren kann, und gleichzeitig lauthals gegen jüdische Outposts protestieren kann.

Der einen Seite helfen vorhandene Tatsachen zu schaffen ist kein probates Mittel um beide Seiten zu einer Verhandlungslösung zu bewegen.

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